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Europäische Kongresse 'In der Begegnung leben'
Kongresse weltweit

Der 2. Kongress 2001 in Dornach

24. bis 27. Mai 2001
am Goetheanum in Dornach, Schweiz
Thema: Brücken bauen

zur Foto-Seite 2. Kongress 2001

Bericht

von Rüdiger Grimm

Andächtige Stille und tosender Applaus für ein ungewöhnliches Theaterprojekt: Sechs Theatergruppen aus 5 Ländern boten eine dramatische Aufführung von Goethes Märchen «Von der grünen Schlange und der schönen Lilie». In norwegischer, deutscher, französischer, englischer und holländischer Sprache wurde Szene an Szene gereiht. Während die anderen Kongressteilnehmer ihre Ausflüge nach Basel und Umgebung genossen, hatten die Theatergruppen ihre zu Hause eingeübten Beiträge auf der Bühne zusammengebracht und zu einer Einheit verschmolzen. Es war einer der Höhepunkte einer Tagung, die mehr als 600 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus 13 europäischen Ländern und den USA am Goetheanum zusammengeführt hatte.

Im Mittelpunkt stand das Thema «Brücken bauen»: von Mensch zu Mensch, von Land zu Land, von Mensch zu Gott. In ihren Vorträgen entwickelten Josef Fragner, Leiter der Pädagogischen Akademie des Bundes in Linz und Michaela Glöckler, Leiterin der Medizinischen Sektion am Goetheanum zentrale Gedanken zur Einmaligkeit jedes Menschen und zu den Moral erweckenden Bildern des Goetheschen Märchens. In Arbeitsgruppen gab es Fortbildungsmöglichkeiten und bei den Exkursionen und gemeinsamen Mahlzeiten entstanden Begegnungen und Beziehungen zwischen Menschen, Freundschaften, die weitertragen. Ein rauschendes Fest am Vorabend des letzten Tages – mit Buffet, mehreren Musikgruppen, Theateraufführungen und einem Zauberer liess das Goetheanum zu einem pulsierenden Ort der Begegnung werden.

Der Kongress machte Raum für das, was von den Teilnehmern selbst mitgebracht wurde: angefangen von einem Konzert am ersten Nachmittag auf neuen Instrumenten, teils mit Improvisationen, teils komponierter Musik, einer Ausstellung von Bildern behinderter Künstler aus Basel, ein junger Mann sang die Ballade «Der Nöck» von Loewe innerhalb einer dramatisierten Version des Gedichts, ein anderer anrührend das Lied «Feeling blue» zur eigenen Gitarrenbegleitung.

Ein besonderes Erlebnis auch das Schlussplenum: Mehr als 40 Menschen standen geduldig in der Reihe, um zu Wort zu kommen, ihre Wertschätzung für die Tagung zum Ausdruck zu bringen, zu danken, vor allem aber, um den Gedanken des Brückenbauens zu unterstreichen und seiner friedenbringenden Kraft unter Menschen. Ernst und Humor wechselten von Beitrag zu Beitrag, ein buntes Sprachengemisch, Applaus für jeden Beitrag, tosender Applaus für die junge Dame aus Capena, die von ihren eigenen Worten überwältigt wurde, selbstbewusster Auftritt des einzigen belgischen Teilnehmers, der seinen Beitrag selbst in vier Sprachen übersetzte und vor allem offene Empfänglichkeit für das, was jeder sagen wollte und auf seine Weise zum Ausdruck brachte.

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Goetheanum hatten sich schon in der Vorbereitung der Tagung spontan und hilfsbereit eingesetzt. Während der Tagung liessen sie sich von der Freude der Teilnehmer anstecken und setzten sich mit Begeisterung dafür ein, dass alles gelang. Es müssen annähernd 50 Führungen gewesen sein, in denen die wissbegierigen Tagungsbesucher das Haus erkundeten! Auch die beherbergenden Häuser in Dornach und Umgebung zeigten sich davon überrascht, mit welcher Ungezwungenheit und wie unkompliziert ihre Gäste sich sofort bei ihnen zu Hause fühlten.

Der Kongress war bereits die zweite Veranstaltung dieser Art. 1998 hatte schon eine Tagung in Berlin stattgefunden, deren überwältigender Erfolg nach einer Fortsetzung rief. Damals schon waren 500 Teilnehmer zusammengekommen und eine Initiativgruppe aus Betreuten und Mitarbeitern beschloss, für eine Fortführung in weiteren Kongressen zu sorgen. Ging es dort mehr um ein Verständnis der eigenen Persönlichkeit, so sollte eine Weiterführung mehr mit den Beziehungen zwischen den Menschen zu tun haben. Niemand zweifelt, dass es genügend Initiative für weitere Tagungen geben wird.

Es wäre unrecht, diesen Kongress als Tagung für Behinderte zu bezeichnen, gleichwohl es Menschen mit Behinderungen gewesen sind, die ihn besucht haben. Sozialfähigkeit, Kultur und Bildung sind jedenfalls nicht Zeichen von Behinderung, auch wenn deren Träger Unterstützung und Hilfe brauchen. Selbst für viele langjährige Heilpädagogen und Sozialtherapeuten war es eindrücklich, ihre Begegnungsfähigkeit zu spüren, ihre Offenheit zu erleben und in Gesichter zu blicken, in denen die Lebensspuren der Erfahrungen zu sehen sind, die menschliche Würde entstehen lassen. Eine Teilnehmerin schrieb im Rückblick, wie wichtig die nicht alltägliche Begegnung sei, «damit unsere Gedanken und unser Empfinden neu belebt werden können und die menschliche Entwicklung weiter gehen kann». Das Goetheanum, das ja regelmässiger Ort der Begegnung der Heilpädagogen und Sozialtherapeuten ist, ist mit dieser Tagung auch ein Stück Heimat für die in den Einrichtungen lebenden Menschen geworden.

Warum solche Tagungen wichtig sind:
Menschen mit Behinderungen haben noch wenig Gelegenheit zum Zusammenkommen und zur Begegnung auf überregionaler und regionaler Ebene.
Sie sind in ihren Beziehungen noch häufig auf einen institutionellen und / oder familiären Umkreis beschränkt.
An solchen Tagungen können Beziehungen und Freundschaften entstehen, die darüber hinaus wirksam bleiben.
Menschen mit Behinderungen brauchen noch viel mehr Gelegenheit zur Weiterbildung und individuellen Horizonterweiterung.
Tagungen geben die Möglichkeit, auf ein Ziel hinzuarbeiten und auch danach noch davon zu zehren.
Sie geben Gelegenheit, Selbständigkeit zu erproben und zu entwickeln, sich in fremder Umgebung zurechtfinden zu lernen.
Die Tagungsteilnehmer können ihre Fähigkeiten in die Veranstaltungen einbringen.
Tagungen dieser Art vermitteln ein positives Bild in der Umgebung. Menschen mit Behinderungen werden als lebensfrohe, unkomplizierte und sozialfähige Menschen wahrgenommen.

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